Schluss mit populistischen, leeren Klagerufen!
Dass der Ministerpräsident der Türkei, Tayyip Erdogan und die führenden Kader der Regierungspartei AKP korrupt sind … Dass Tayyip und seine Sippschaft das Land ausplündern … Dass Tayyip seine Gegner nicht nur beschimpft und beleidigt und sondern auch schlägt … sind schon Binsenweisheiten.
Über das aller Schlimmste, über die grundlegende Gefahr, die da lauert, sprechen aber sehr wenige: Die Türkei ist unterwegs zu einem offenen Diktatur!
Die Türkei ist schon ein Parteienstaat
Die AKP, die seit 12 Jahren an der Macht ist, intensivierte ihren Angriff insbesondere ab dem 2007, um den gesamten Staatsapparat unter ihre Kontrolle zu bringen. Dies wurde Schritt für Schritt, entweder durch willkürlichen Gesetzesänderungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, oder durch Auswahl des willigen Personals in allen Ministerien und staatlichen Institutionen geschaffen.
Die Arbeitsgesetze wurden dahingehend geändert, damit nicht nur die Arbeitsrechte vernichtet, sondern auch die Arbeit der Gewerkschaften, die für die Rechte der Arbeiter und Angestellten kämpften, beschränkt werden könnten. Sie sorgten dafür, dass die führende Stellen des größten Gewerkschaftsbunds, Türk-Is von den AKP nahe stehenden Personen besetzt werden. Gleichzeitig wurden mit der direkten Unterstützung der AKP eine Reihe von neuen islamischen Gewerkschaften gegründet. Viele ArbeiterInnen wurden unter dem Druck der Arbeitgeber und Vorgesetzten Mitglieder dieser Scheingewerkschaften, die nur für Gebetsstellen in den Betrieben kämpfen und ihre Mitglieder nur zum Freitagsgebet mobilisieren wollen.
In dem gesamten juristischen Apparat wurden beinahe alle RichterInnen und Staatsanwälte durch die Auswahl des Ministerpräsidenten und seiner Berater selektiert. Wer sich wagte, sich dagegen zu setzen, verlor nicht nur sein Amt, sondern wurde auch angeklagt. Einige grossangelegte Musterprozesse gegen hohen Generäle und Offiziere, Journalisten, Professoren und Politiker wurden geführt, um die Opposition im Keim zu ersticken. Diese Prozesse wurden von den für diese Aufgabe ernannten Richter und Staatsanwälte mit den Ausnahmekompetenzen bereicherten „Spezial Gerichten“ geführt. Diese faschistoide Richter und Staatsanwälte stützten die Anklagen auf anonym gehaltenen Zeugen und offensichtlich von dunklen Stellen präparierten falschen Beweisen. Nicht nur bei diesen Musterprozessen sondern in allen politischen Prozessen gingen die beauftragten Richter manchmal soweit, dass sie die Anwälte verhaften ließen, um die Verteidigung der Beklagten zu verhindern.
Mit der Hilfe dieser Prozesse umwälzte und formierte die AKP das Land um, so das politische System, die Opposition, die staatlichen und außerstaatlichen Geheimorganisationen, sogar die Linken und die kurdische Bewegung sollten nach den Wünschen der AKP gestaltet werden.
Als die höchste Kommandeure der Armee mit Scheinprozessen verhaftet wurden, verstärkte die AKP den Polizeiapparat, der heute völlig unter ihrer Kontrolle steht. Die Stellen und Aufgaben aller führenden Beamten, die nicht bedingungslos der AKP treu bleiben würden, wurden geändert. Ein Teil der leitenden Beamten wurden zwangsläufig in die Rente geschickt. Seit der Auseinandersetzung zwischen der AKP und ihrer ehemaligen „Partner“, Gülen-Sekte ab Ende November 2013, wurden mehr als 10.000 Polizeibeamten versetzt. Dass der Anteil des Polizeiapparats an dem Staatsbudget mit 1% mehr als der des 600.000 Mann starken Armee beträgt, ist ein Beweis dafür, dass die AKP ihre eigene „Armee“ für den geplanten Polizei-Staat, für die zukünftige Diktatur von Tayyip aufbaut. Auch die Unabhängigkeit des staatlichen Geheimdienstes gegenüber den staatlichen Stellen wurde inzwischen durch einen Gesetz nach Tayyips Gusto aufgehoben.
Die Leitungen der Universitäten und wissenschaftlichen Institutionen stehen unter der Kontrolle der AKP. Das von der AKP ernannten Personen bestehende staatliche Gremium für die Kontrolle der Universitäten ist sehr aktiv gegen Oppositionelle. Viele von den Rektoren wurden von dem Staatspräsidenten Gül, der auch ein AKP- Mitglied ist, ernannt, obwohl sie bei den Rektor-Wahlen der Universitätssenaten verloren hatten. Das Schulsystem wurde umstrukturiert und so die Mehrheit der allgemeinbildenden Schulen in islamische Imam-Hatip-Schulen umgewandelt, um die zukünftige Generationen als religiöse, treue Arbeitskräfte zu erziehen. Die größten Medienunternehmen wurden nach der persönlichen Anweisung von Tayyip durch den AKP nahestehenden Kapitalisten abgekauft. Die gesamte Medienlandschaft, vor allem die Fernsehsender stehen unter der strengen Kontrolle der dafür zuständigen staatlichen Institution, die jeden Versuch, ein oppositionelles Programm zu gestalten mit drastischen Geldstrafen unter Druck setzt.
Ein entmachtetes Parlament
Alle drei Oppositions-Parteien sorgen zur Zeit dafür, dass die Legitimation des Parlaments und damit auch die der AKP aufrechterhalten wird. Obwohl die AKP – Parlamentsgruppe nicht nur Dank der Zahl ihrer Sitze, sondern durch allerlei Tricks, und wenn es sein muss auch mit Gewalt, ihre Pläne durchsetzt. Ständig werden neue Gesetze entschieden, die die demokratischen Grundrechte Schritt für Schritt aus der Kraft setzen. Die Opposition darf sprechen aber nichts Konkretes unternehmen. All ihre Anträge werden von dem Parlamentsvorsitzenden entweder nicht akzeptiert, oder Monate lang hinausgezögert, bis sie ihre Aktualität verlieren. Die Oppositionsparteien wurden dermaßen entmachtet, dass die Parlamentarier verhindert wurden, den Bericht des Hohen Rechnungshofes über die Staatsfinanzen zu prüfen und darüber zu diskutieren! Unter diesen Umständen rief die TKP alle Oppositionsparteien, ihre Sitze in diesem Parlament aufzugeben, damit die AKP das letzte Argument ihrer Legitimation verliert, ihr „Demokratiespiel“ nicht weiter fortsetzen kann.
Die Tatenlosigkeit der Oppositionsparteien
Trotz allem fahren die so genannten Oppositionsparteien fort, das von der AKP praktisch entmachtetes Parlament aufrecht zu erhalten. Die Faschisten (MHP) haben schon lange bewiesen, dass sie eine Scheinopposition sind und in brenzligen Situationen immer als Rettungsring der AKP funktionierten. Jedes Mal, wenn die AKP eine Unterstützung benötigte, um ein kritisches Gesetz durchzusetzen, waren sie auf der Stelle. All die Bemühungen der CHP, die sich sozialdemokratisch nennt, aber weder sozial, noch demokratisch ist, sind hauptsächlich dahin gerichtet, um das System bloss nicht weiter zu reizen. Für die Führung dieser Partei, die aus einem Konglomerat von allerlei Nationalisten, Liberalen, Sozialdemokraten, aber auch manchen korrupten Mitläufer besteht, heißt die Opposition, „die AKP soll gehen, aber das System soll bleiben!“ Auch die kurdische Partei führt eine verbale Opposition und vermeidet jeden ausschlaggebenden Schritt, die Macht der AKP zu gefährden. Denn sie geben die Hoffnung nicht auf, dass die AKP die einzige Partei ist, die der kurdischen Bewegung den Weg zu einer „Lösung“, öffnen wird. Deshalb werden verbal kritische Äußerungen gemacht aber gleichzeitig Signale gegeben, dass Tayyip bei der Präsidentenwahl unterstützt werden würde.
Unterstützung der Monopolkapitalisten und des Lumpenproletariats
Die AKP schaffte in kurzer Zeit eine Sippschaft von mehreren Monopolkapitalisten. Dank der Kredite der staatlichen Banken in mehreren Milliarden USD und durch die Plünderung des Landes häuften diese Parasiten Vermögen in unglaublichen Höhen. Auch Tayyyip Erdogan und seine Familie wurde nicht nur schnell Reich, sondern umgab sich mit einer ökonomisch sehr starken Kreis von Unterstützern. Jetzt versucht er die traditionellen monopolkapitalistischen Kreise zu selben Front zusammen mit seinen Neureichen zu bringen. Dass er zuletzt den CEO der Milliarden schweren traditionellen Koc – Gruppe mit dem er vorher Wortgefechte tauschte, drei Preise auf ein Mal verlieh, soll als ein Zeichen des Friedens mit diesen Kreisen gelten.
Er braucht aber auch die Massen, um seine Macht aufrechtzuerhalten. Es ist makaber, dass die Armen, die innerhalb der Regierungszeit der AKP noch ärmer geworden sind, in ihm ihren Mann sehen. Mit der Vernichtung der Produktion in der Industrie und auf dem Land zugunsten der Spekulativen Geschäften verstärkte Erdogan die Zahl der Arbeitslosen und damit armen Menschen in Millionen. All den Armen in der Peripherie der Großstädte verteilte er Almosen in Form von Kohle, Zucker, Mehl, Bekleidung und Haushaltsgeräten usw. als Hilfe der AKP, obwohl diese staatlich und zum Teil von den Kommunen finanziert waren. Es ist auch bekannt, dass die Teilnahme an den AKP – Kundgebungen mit einem bestimmten „Honorar“ in Höhe von 50 bis 100 türkisches Lira belohnt werden. Eine Stimme an den Wahlen kosten in manchen Regionen ein kleines Goldstück!So gewann er durch Bestechungen auch ein großer Teil der Stadtarmen für sich.
Obwohl viele ehrliche religiöse Menschen meinen, dass die Taten und Geschäftsgebaren von Erdogan und der führenden Personen der AKP mit Islam nicht das geringste zu tun haben, schafft die AKP eine gewisse Masse von Menschen in den Kleinstädten Anatoliens mit Hilfe ihrer Religiosität zu mobilisieren.
Allianzen als Trittbretter
Ihm sind alle Wege und Methoden legitim, um sein Ziel zu erreichen. Er ist ein notorischer Lügner und ein Demagoge, der weder ethische Grenzen hat, noch Treue kennt. Sein Werdegang ist voll mit Demagogie, Falschversprechen und Allianzen, die solange Bestand hatten, bis sie ihre Funktion erfüllt haben.
Als Erdogan am Anfang seiner Karriere von Freiheit und Demokratie sprach, unterstützten ihn alle Liberale und ehemalige Linke, die nicht ahnen wollten, für wen und welche Ziele er sich Freiheit und Demokratie wünschte. Später hielt er diesen Kreisen von Narren den Spiegel vor und erklärte unverschämter Weise, dass Demokratie für ihn nur ein „Zwischenstopp“ sei, der ihn zu seinem Ziel bringen sollte. Mit dem Kampf für die Freiheit für das Kopftuch brachte er die Frauen in die Rolle der Menschen zweiter Klasse, die nur mindestens drei Kinder auf die Welt bringen sollten und als Mütter und ihren Ehemännern treue „Sklaven“ zuhause bleiben sollten.
Er unterstützte den schmutzigen Krieg in Syrien, obwohl er kurz vorher von dem Präsidenten Assad als „sein Bruder“ sprach und zusammen mit ihm Urlaub machte. Und heute steht er noch als Pate der islamischen Terroristen in Syrien und Irak und unterstützt sie finanziell und logistisch und beliefert sie mit Waffen. (Die Gendarmen, die die mit Waffen geladenen Sattelschlepper unterwegs nach Syrien anhielten, wurden anschließend angeklagt, wobei die Staatsanwaltschaft lebenslänglichen Gefängnisstrafen forderte.)
Er erklärte stolz, dass er von den USA als ein Mitvorsitzender des US-Projekts des Grossen Mittleren Ostens vorgesehen ist. Später hieß es in seiner populistischen Reden, dass er dagegen wäre, dass „die Kräfte aus der anderen Seite des Ozeans in dieser Region nichts zu sagen hätten“. Dass er kurz vorher Vermittler in den Vereinigten Staaten schickte, damit seine amerikanische Unterstützer ihn „nicht ins Klo spülen, sondern ausnützen sollen“, war dabei längst in Vergessenheit geraten.
Zuletzt sprang er alle die Brücken zwischen seiner Partei und dem langjährigen Partner Gülen-Sekte, mit dem er die Macht bis vor kurzem angeblich geteilt hatte. Jetzt deklariert er den Sektenführer Gülen, der in den Staaten lebt, und seine Anhänger als Hauptgegner. Er behauptet, dass sie ohne seine Kenntnisse im Staatsapparat geschlichen, und eine „Parallelmacht“ gegründet hätten. Mit dieser Demagogie säubert er den Staat von seinen Gegner bis zum letzten Beamten.
Feindschaften als Instrument die Wählerschaft zusammen zu halten
Er braucht ständig Feinde im In- und Ausland, um seine Wähler zusammen zu halten und gelegentlich gegen seine Gegner zu mobilisieren. Einst war es der Staat Israel, später Syrien. Im Inland sind es immer wieder die ArbeiterInnen, die für ihre Rechte kämpfen und streiken, die Frauen, die für Gleichberechtigung aufstehen, die Jugendliche, die gegen ihn demonstrieren, die Aleviten und …
Seit dem Juni-Aufstand letzten Jahres ist die Polizei, der er die Tötungsbefehle erteilt und sie anschließend mit Lob und Preisen ermutigte, noch aggressiver geworden. Sie attackiert den Demonstranten mit aller Gewalt, solche Mittel wie Tränengas, Wasserstrahlen und Plastsikkugel reichen ihr mittlerweile nicht mehr aus; sie sind inzwischen mit scharfen Munition bewaffnet. Dass es Tode gibt, spielt für Erdogan keine Rolle. Er nimmt die Mörder unter Schutz und fragt, „was sollte die Polizei sonst tun?“ Gleichzeitig agitiert er seine Wählerschaft gegen jeglichen Oppositionellen, und droht, „sie auf den AKP – Gegner loszulassen“.
Die letzte Etappe: die Präsidentenwahl
Nach all den oben kurz geschilderten Vorbereitungen marschiert Tayyip Erdogan Richtung des Präsidentenpalastes. Er hat aber eine Bedingung: Das Grundgesetz und das bestehende Parlamentssystem soll geändert werden. Die Republik soll unter seiner Präsidialmacht stehen! Somit träumt er von einem Land, das er alleine beherrscht.
In dieser Etappe reicht seine Wählerschaft nicht aus, ihn zu seinem Ziel zu tragen. Deshalb soll die kurdische Bewegung für ihn die Joker-Rolle übernehmen, sie soll als „Königsmacher“ fungieren, dabei spielt der so genannte „Friedensprozess“, der bis jetzt eine sehr widerspruchsvolle Entwicklung hingelegt hat, eine entscheidende Rolle. Trotzdem verliert die kurdische Bewegung die Hoffnung nicht, die Lösung zusammen mit Tayyip Erdogan und der AKP zu suchen. Deshalb gibt Öcalan immer wieder Signale, dass die Kurden Erdogan unter bestimmten Bedingungen unterstützen würden. Die Erfahrung über den Umgang Erdogans mit seinen ehemaligen Partnern und Unterstützern zeigt, dass Öcalan, ein Pakt mit dem Teufel zu schließen, zustande bringen versucht.
Kein Rätsel
Im Hinblick zu der den oben geschilderten Entwicklung in der Türkei, steht fest, dass Erdogan eine große Gefahr darstellt, dass auch die letzten Krümmel der bürgerlichen Demokratie im Land vernichtet werden und eine Diktatur errichtet wird – falls er nicht von den Volksmassen nicht getoppt wird.
Den Charakter der Diktatur zu nennen, von dem Tayyip Erdogan träumt, überlasse ich den LeserInnen. Das kann jeder tun, vorausgesetzt, dass er/sie ein bisschen Kenntnis über die Geschichte Deutschlands und Italiens hat.
Juni 2014
Cemil Fuat Hendek